Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 312

 

Standort:

Venloer Straße 10a, D 41751 Viersen - Dülken

GPS:

5115' 04,7" N   06o 19' 53,8" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

1841, 1854, 1864

Tag der Eintragung als Denkmal

26. November 1992

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Ehem. Flachsspinnerei in Dülken

Denkmalbeschreibung:

In einem Abriss der Dülkener Industriegeschichte leitet Josef Brocher das Kapitel zur Textilindustrie wie folgt ein:

"Der erste Industriezweig, der als solcher in Dülken Fuß faßte, war die Zwirnbranche, für deren Aufkommen der bedeutende Flachsanbau in unserer Gegend bestimmend gewesen ist. Um die Bedeutung sowohl der Flachserzeugung wie der aus ihr hervorgegangenen Fabrikation von Leinenzwirn richtig zu würdigen, müssen wir uns eingehender mit der Person des Mannes beschäftigen, der vermöge seiner Unternehmungsfreudigkeit und Entschlußkraft der Gründer der Zwirnbranche geworden ist: Gerhard Mevissen." (Kellenbenz, Hermann, Die nördlichen Rheinlande, in: Franz Petri/Georg Droege (Hrsg.), Rheinische Geschichte, Band. 3, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1979, Seite 43) ergänzt: "Das Maschinengarn fand erst seit den 20er und 30er Jahren stärkere Verbreitung, vor allem im Kreis Kempen. Ein Schwerpunkt der Leinenzwirnerei war Dülken, unter den Fabrikanten finden wir hier Gerhard Mevissen ... ".

Brocher schildert kurz den Werdegang des 1776 geborenen Sohnes des Schmiedemeisters, Arnold Mevissen: Rietmacherlehre, 1798 Aufstellung eines ersten Zwirnstuhles in der elterlichen Wohnung auf der Kirchstraße. 1803 Erweiterung der Fa. Gerhard Mevissen um drei weitere Zwirnmühlen in eigenem Hause. Nach der Heirat Elisabeth Gierlings 1814 Erwerb des Heisterschen Hauses auf der Langen Straße, dort Betrieb einer Handzwirnerei im Seitenflügel. Seit 1830 Aufnahme des 1815 geborenen Sohnes Gustav in die Firma, der 1838 in England Erfahrungen mit dem Maschinenbetrieb sammelt. Dort besichtigt Gustav die große Flachsspinnerei von Marshall & Co. in Holbeck bei Leeds, deren (heute noch existierender) riesiger neuer Fabrikbau mit der Kopie einer ägyptischen Tempelfront 1250 Arbeiter aufnahm. Wichtig an Mevissen Juniors Besuch war die Etablierung einer Geschäftsbeziehung für den Flachsexport, vor allem aber der Einblick in den technischen Produktionsgang (vgl. Martin Schumacher, Auslandsreisen deutscher Unternehmer 1750-1851 unter besonderer Berücksichtigung von Rheinland und Westfalen, Köln 1968, Seite 158).

1841 baut Gerhard Mevissen dann im Besitze der neuen Erfahrungen seines Sohnes am Westwall/Ecke Venloer Straße seine erste auf Maschinenbetrieb ausgelegte Fabrik, die seit 1845 von einer englischen Dampfmaschine angetrieben wird. Für den noch vor 1841 nach Köln übergesiedelten Gustav Mevissen übernahm dessen Schwager Franz Wilhelm Königs die Leitung der Zwirnerei, die bald durch eine Strangfärberei und Appretur ergänzt wird. 1843 stirbt Gerhard Mevissen, F. W. Königs wird Betriebsleiter. 1854 eröffnet er am Westgraben eine Flachsspinnerei, die sich bald als zu klein erweist. Gustav Mevissen hatte sich mit Vertrag vom 23.03.1853 dem Preußischen Handelsministerium gegenüber verpflichtet, eine mechanische Flachs-Spinnerei mit mindestens 5000 Spindeln zu errichten, für die er je Spindel 6 Taler Subvention erhalten sollte. 1854 wurde eröffnet, 1860 eine eigene Bleiche an der Boisheimer Nette eingerichtet. Goltstein hatte die Anlage mit englischen Maschinen eingerichtet, sie begann mit 2.500 Spindeln. Um 1858 waren 278 Arbeiter beschäftigt, 4 Dampfmaschinen mit 118 PS trieben 2.808 Spindeln (vgl. Gerd Blume, Die heimische Flachsspinnerei im 19. Jahrhundert, - in: Heimatbuch des Landkreises Kempen/Krefeld, 1968, Seite 111f.).

Ab 1864 werden neue, größere Fabrikgebäude für den Spinnbetrieb errichtet, 1866 zieht die ganze Unternehmung an den Bruchweg um, wo in der Folge der Großbetrieb der (seit 1871) "Niederrheinischen Flachsspinnerei AG" entsteht (vgl. Stadtarchiv Viersen, Gewerbeakte Dülken, 4272, 1867/1886). Die Zwirnerei am Westwall wird noch weiterbetrieben, zieht aber lt. den Gewerbeakten nach 1867 um, besteht aber am neuen Orte bereits 1886 nicht mehr.

Beschreibung
Erhalten vom ehemaligen Komplex der Flachszwirnerei und Spinnerei Gerhard Mevissen zwischen Venloer Straße, Westwall und Westgraben sind die beiden 1841 bzw. 1854 errichteten Fabrikbauten, sowie Teile der im Norden vorgelagerten Kessel- und Maschinenräume.

1) Im Osten erhebt sich der zweigeschossige Satteldach-Backsteinbau der Zwirnerei mit 8 zu 3 Achsen. Der über 26 m lange Bau verjüngt sich nach Norden von 9 m auf 8 m Breite. Hohe Stichbogenfenster mit Blausteinsohlbänken belichten das Innere, korbbogenartige Überfangbögen beleben die glatten Backsteinfassaden, die durch ein einfaches Gesims horizontal gegliedert sind. Einfache gusseiserne Rundstützen mit angegossenen Transmissionsflanschen tragen die Kappengewölbedecke, die zwischen den fischbauchartig ausgebogenen Flanschen der Gussträger eingespannt sind. In Gebäudelängsrichtung laufen vier geschmiedete Zugstangen, die mit Tellerankern an den Giebelaußenseiten verspannt sind. Auch die gusseisernen Träger im Erdgeschoss sind mit Tellerankern gesichert. In beiden steinplattierten Geschossböden laufen die Abflussrinnen für den Nassbetrieb der Flachszwirnerei noch vollständig im ursprünglichen Zustand. Der südliche Außengiebel zeigt Spuren eines ursprünglich fast ebenso hohen Anbaues, möglicherweise die ehemalige Strangfärberei und Appretur.

2) Auf der westlichen, gegenüberliegenden Hofseite liegt nach Süden versetzt der zweieinhalbgeschossige Bau der mechanischen Flachsspinnerei von 1854. Dem ursprünglich 8 Achsen langen Trakt ist im Süden ein Treppenhaus von 2 Achsen Breite hinzugefügt worden. Fassadenaufteilung und Fenstergrößen wechseln hier. Auch die Spinnerei weist Stichbogenfenster mit Überfangbögen auf, die ebenso wie die der Zwirnerei Natursteinsohlbänke zeigen. Unter einem einfachen Stufentraufgesims zieht sich eine Blendarkadenreihe hin, die an drei Stellen durch kleine Fensteröffnungen durchbrochen wird. Das Treppenhaus zeigt über zwei Türöffnungen zwei Ochsenaugen mit Überfangbögen sowie zwei Tudor-Bogenfenster mit Überfang. Der südliche Krüppelwalm-Giebel trägt ein Dachhaus, das möglicherweise ursprünglich eine Aufzugsvorrichtung für die Lagerung von Rohmaterial im Dachgeschoss aufgenommen hat. Auch im Inneren der Spinnerei tragen Gussstützen mit angegossenen Transmissionsflanschen die Geschossdecke, die hier allerdings als Holzbalkendecke ausgebildet ist. Es ist denkbar, dass hier der Innenausbau nicht der Entstehungszeit 1854 entstammt.

3) Von dem nördlich anschließenden Maschinenhausteil haben sich die Umfassungsmauern zum großen Teil erhalten, ein genauerer Befund ist wegen der neuen Dachkonstruktion und dem dort lagernden Holz nicht möglich gewesen. Das erhaltene Mauerwerk stammt aber eindeutig aus der Zeit zwischen 1841 und 1854 und kann der Gesamtanordnung nach nur das Kessel- und Maschinenhaus umfasst haben. Die jenseits der Venloer Straße ursprünglich bestehenden Teile der Fabrik (vgl. Lageplan bei Werner Mellen, Rheinische Kunststätten, Heft 323, Viersen, Köln 1987, S. 22) haben sich nicht erhalten.

Bedeutung
Bei den unter 1 bis 3 beschriebenen Teilen der von 1841-1854 entstandenen mechanischen Flachszwirnerei und -spinnerei Gerhard Mevissen handelt es sich um ein Denkmal im Sinne des § 2 Absatz 1 Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalen. Die Anlage ist bedeutend für Städte und Siedlungen sowie für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Für die Erhaltung sprechen wissenschaftliche Gründe, hier insbesondere in drei Bereichen:

1. Die Anlage ist wichtig als früher Beleg für den Beginn der mechanisierten Textilerzeugung nach englischem Vorbild, für die sie auch das architektonische und bautechnische Muster aus dem Mutterland der industriellen Revolution übernahm. Die Gussstützen der Zwirnerei, sowie die Fischbauträger der Deckenkonstruktion gehören mit zu den frühesten Belegen dieser Bautechnik in Deutschland (vgl. Ermen u. Engels in Engelskirchen, Ende der 1830er Jahre).

2. Die Bauten sind der älteste verbliebene Beleg der für die Wirtschaftsentwicklung Dülkens grundlegenden Flachsverarbeitung mit ihrer Entstehungszeit vor der und um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

3. Die Unternehmung ist eng verbunden mit der für das gesamte rheinische Wirtschaftsleben hochbedeutsamen Unternehmer-, Bankier- und Politikerfigur von Gustav (später von) Mevissen, der sich mit den beiden Gründungen im Textilbereich in Dülken und Düren hier auch direkt als Unternehmer manifestiert.

4. Auch der technikhistorische Belang ist von Bedeutung, der sich aus den noch vollständig erhaltenen Einrichtungen des Nassbetriebes einer Flachsverarbeitung ergibt.

Somit liegen für den Denkmalwert technik-, architektur-, wirtschafts-, orts- und landesgeschichtliche Gründe vor.