Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 422

 

Standort:

Neumarkt 1-3,  D 41751 Viersen - Dülken

GPS:

5115' 09,1" N   06o 20' 08,1" O

Zuständigkeit:

Stadt Viersen

Baujahr:

1951 - 1952

Tag der Eintragung als Denkmal

18. Juli 2001

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Ehem. Polizeigebäude in Dülken

Denkmalbeschreibung:

In Erweiterung des mittelalterlichen Stadtkerns nach Norden wurde "ab 1907" (Mellen, Seite 6) bzw. "1909" (Perdelwitz, Seite 60) der Neumarkt angelegt. 1939-41 erfolgte an der westlichen Platzseite der Bau eines HJ-Heimes, welches am Sonntag, dem 03.12.1944 zum Schauplatz eines der schlimmsten Ereignisse in der Geschichte Dülkens im 20. Jahrhundert wurde. Während im HJ-Heim eine Panzerfaustvorführung abgehalten wurde, griffen um etwa 9:20 Uhr drei Kampfbomber die Dülkener Innenstadt an. Die Umgebung kam zwar relativ glimpflich davon, das HJ-Heim jedoch wurde schwer getroffen; in seinen Trümmern starben 46 Menschen, 42 Jugendliche (meist Jahrgang 1928) und vier Erwachsene; weitere Opfer starben später im Krankenhaus.

An Stelle diese HJ-Heims wurde 1951/52 nach einem Entwurf des Stadtbauamtes eine "Polizeiunterkunft" mit Wohnungen errichtet. Proportion des Neubaus und der Kellergrundriss der Bauzeichnungen lassen darauf schließen, dass zumindest der erhaltene Keller des HJ-Heims dabei wiederverwendet wurde (im Plan sind "vorhandene" und "neue" Mauern eingetragen und der gesamte Plan wird als "Wiederaufbau" bezeichnet).

Beschreibung
Es handelt sich um ein dreigeschossiges, über Sockel verputztes Gebäude auf u-förmigem Grundriss mit flachem Walmdach, mit einem vorderen breit gelagerten Flügel als Platzwand zum Neumarkt und zwei Seitenflügeln, die auf der Rückseite einen Hof umfassen (das HJ-Heim war in der Höhe in etwa gleich, aber anders proportioniert gewesen: zweigeschossig mit Dachgeschoss, d.h. hohem, gaubenbesetzten Walmdach). Es besitzt eine Lochfassade gleichartiger, hochrechteckiger Fenster in regelmäßiger Achsensymmetrie; zum Platz sind 12, zur Seite je drei Fensterachsen angeordnet. Zwei Eingänge in der jeweils zweiten Achse rechts und links, über sockelhohen Treppen in schmaler Steinrahmung mit flachem Segmentbogen, deuten bereits am Außenbau eine innere Zweiteilung des Gebäudes an. Ein Teil originaler zweiflügeliger Fenster mit einfach kreuzförmiger Sprossenteilung ist erhalten.

Im Inneren gruppieren sich die Zimmer jeweils um einen zentralen Flurraum mit Treppenhaus. Wie der Außenbau ist auch hier der Raumeindruck zweckgerecht nüchtern. Bis auf einen größeren Bereitschaftsraum in der Hausmitte und allerdings nur durch Einbauten von Liegen als solche erkennbare Zellenräume im hinteren Flügel sind die Räume der Polizeiunterkunft in der rechten Haushälfte von neutraler Größe und Anordnung. Die in beiden Haushälften gleichartigen Treppen besitzen schlichte Holzgeländer auf geraden Stäben, sind dreiläufig mit kurzen An- und Abläufen und längerem geraden Lauf an der Gebäuderückseite. Im Polizeitrakt wurden in den sechziger Jahren die Zellen aus dem Keller (dort noch erkennbar) in das Erdgeschoss verlegt; sie sind durch Einbauten (Liegen) noch anschaulich erhalten.

Architekturgeschichtliche Würdigung
Zwei Eigenschaften der ehemaligen Polizeiunterkunft am Neumarkt sind offensichtlich. Erstens: es handelt sich um eine auf den ersten Blick gestalterisch unauffällige Architektur; zweitens: das Gebäude fügt sich trotz seiner beträchtlichen Größe durchaus harmonisch in das historische Kernstadtensemble von Dülken ein.

Die architekturgeschichtliche Forschung bezeichnet Bauten wie diesen meist als "Amtsbautenstil" oder auch "Anpassungsarchitektur". Kennzeichen sind in der Regel klar begrenzte, breit gelagerte Baukörper, eine ornamentlose Lochfassade (glatte Wandfläche mit einfach eingeschnittenen Öffnungen), regelmäßige Fensterachsenreihung, Steildach, herkömmliche Mauerwerksbauweise. In der deutschen Architekturentwicklung spielte diese Richtung als traditionalistische Moderne bis etwa Mitte der fünfziger Jahre eine gewichtige Rolle. Die Bezeichnung "Anpassungsarchitektur" verweist darauf, dass diese Art der Baugestaltung von ihren Vertretern als geeignet angesehen wurde, um in sensiblen Bereichen wie z.B. historischen Altstädten Neubauten einzufügen, die sich "ohne Täuschungsabsicht" (so der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme), d.h. ohne alte Formen zu kopieren, dem Vorhandenen anpassen oder unterordnen. Unter diesem Aspekt besteht eine Affinität zum Heimatschutzgedanken. Die gestalterische Bandbreite reicht dabei von der teilweisen Anlehnung an traditionelle Formen bis hin zu neutralen sachlichen Baukörpern. Für letzteres ist die Dülkener Polizeiunterkunft ein beinah idealtypisches Beispiel.

"Amtsbautenstil" wird diese Architektur genannt, da in den zwanziger bis fünfziger Jahren viele öffentliche Bauten in diesem Stil errichtet wurden, meist von Baubehörden, in denen ein konservativer Traditionalismus stark verwurzelt war. In diesem Zusammenhang sei auf die als Baudenkmal geschützte Schule an der Dammstraße verwiesen, die gestalterisch den gleichen Prinzipien folgt.

Vergleicht man die Polizeiunterkunft von 1951 mit dem HJ-Heim an gleicher Stelle von 1941, fallen Kontinuitäten und Unterschiede ins Auge. Der Baukörper folgt in seiner Grundanlage den selben Konventionen wie das HJ-Heim, ist im Detail aber noch einmal wesentlich einfacher gestaltet. Sicher geht man nicht fehl, als Gründe hierfür die immer noch wirtschaftlich karge Nachkriegszeit einerseits, andererseits die zeittypische bewusste Zurückhaltung eines öffentlichen Bauherren zu sehen. So beugte man auch eventueller böswilliger Kritik vor - die andernorts durchaus vorkam -, welche die Baugestaltung auf eine gewisse Nutzungsverwandschaft hätte beziehen können.

Eine bautypologische Untersuchung von Polizeigebäuden existiert bislang nicht; die vergleichbaren, besser erforschten Kasernenbauten jener Zeit folgen aber ähnlichen Entwicklungslinien stärkerer Funktionalisierung und formaler Zurückhaltung. Nach Kenntnis des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege steht ein einfaches Polizeigebäude aus den fünfziger Jahren im Rheinland bislang noch nicht unter Schutz (das Polizeipräsidium in Köln ist wegen seiner übergeordneten Aufgaben und Größe nicht vergleichbar); aus den dreißiger Jahren finden sich denkmalwerte Beispiele u.a. in Mülheim a. d. Ruhr, Oberhausen und Mönchengladbach-Dahl, in den damals üblichen Formen der Heimatschutzarchitektur (vergleichbar dem Dülkener HJ-Heim) oder des Backsteinexpressionismus. Gerade das Fehlen von bautypspezifischen Hoheitszeichen ist Anfang der fünfziger Jahre programmatisch, man orientiert sich an anonymen Verwaltungsgebäuden.

Das für die Außenbaugestaltung gesagte gilt sinngemäß auch für das Innere: beabsichtigt waren schlichte, übersichtliche Grundrisse und einfache, dauerhafte Materialien. Gehobenes "Anspruchsniveau" kam meist allenfalls in einer demonstrativen Solidität der Ausführung (traditionelles Material, handwerkliche Verarbeitung) zum tragen.

Das Polizeigebäude in Dülken verkörpert daher eine typische Erscheinungsweise öffentlichen Bauwesens der frühen fünfziger Jahre: konservativ, schlicht, uniform (ein Begriff, der angesichts der Nutzung nahe liegt); eine absichtlich vereinfachte Form der in ihren Spitzenleistungen zum Teil sehr qualitätvollen traditionalistischen Moderne der zwanziger und dreißiger Jahre. Es handelt sich um tastende Anfänge einer "demokratischen" Architektur, die sich von den vergangenen Würdeformen zu distanzieren versuchte.

Aufmerksamer Betrachtung erschließen sich die harmonisch-unaufgeregte Proportionierung und nüchterne Gestaltung als unspektakuläre, aber dennoch wirksame Qualitäten. Gerade wegen ihrer oft missachteten Wertigkeit sind ähnliche Gebäude andernorts bereits häufig verändert oder zerstört worden. Erinnert sei an zwei Beispiele in Köln, wo in jüngster Zeit zwei zwar monumentalere, als Zeugnisse des schlichten Bauens öffentlicher Bauherren im Wiederaufbau aber ver-gleichbare Gebäude gegen öffentlichen Protest abgerissen wurden bzw. in Kürze werden (Hauptpost und Stadthaus).

Aufgabe der Denkmalpflege ist es, nicht allein architektonische Spitzenleistungen zu bewahren, sondern typische Zeitdokumente, sofern eine dem Denkmalschutzgesetz genügende Bedeutung und eine wesentlich aus dem originalen Erhaltungszustand abgeleitete Erhaltungswürdigkeit festzustellen sind. Im Fall der Polizeiunterkunft in Dülken ist die Bedeutung für Viersen aus der Nutzung als öffentliches Gebäude in zentraler Lage des Ortes abzuleiten. Der Erhaltungszustand ist in seinen für den Zeugniswert relevanten Aspekten (Baukörper, Außenbaugestaltung, Grundrissprinzip, Treppenhaus) bis hin zu Details (Fenster teilweise, Zellen als Nutzungsrelikte) als weitgehend ursprünglich zu bezeichnen. Wegen des daher hier noch ungewöhnlich anschaulichen Zeugniswertes für das öffentliche Bauwesen im Wiederaufbau nach 1945, eines aus wirtschaftlichen, ästhetischen und moralischen Motiven gespeisten "Amtsbautenstils", ist das Gebäude von architekturgeschichtlichem Interesse. Eine ortsgeschichtliche Dimension kommt ihm als direkter Nachfolgebau des HJ-Heims an Stelle des schwersten und folgenreichsten Fliegerbombentreffers des Zweiten Weltkriegs in Dülken zu, zumal in ihm wahrscheinlich auch noch Baukörperdisposition und Kellersubstanz des Vorgängerbaus tradiert sind. Hingewiesen werden muss auch auf seine städtebauliche Qualität, da es sich gut in das historische Stadtbild einfügt und eine proportional wirkungsvolle und harmonische Platzwand für den Neumarkt bildet.

Das ehemalige Polizeigebäude am Neumarkt in Dülken ist aus den genannten Gründen bedeutend für Viersen. An seiner Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen, hier architektur- und ortsgeschichtlichen sowie aus städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher gemäß § 2 Denkmalschutzgesetz um ein Baudenkmal.