Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 441

 

Standort:

Ummerkirchweg 93,  D 41748 Viersen - Heimer

GPS:

5114' 01,5" N   06o 25' 07,9" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

1884

Tag der Eintragung als Denkmal

6. Mai 2003

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Wohnhaus Arztpraxis in Heimer

 

Originale, eindruckvolle Haustüre

Denkmalbeschreibung:

Das Gebäude Ummerkirchweg 93 wird 1884 für den Landarzt Dr. Johann Heinrich Fliescher errichtet. Als Planverfasser zeichnet das Duisburger Baugeschäft Weiland & Brocker. Die Anlage besteht aus einem stattlichen zweigeschossigen, backsteinsichtigen Wohnhaus auf leicht querrechteckigem Grundriss mit Walmdach und drei um einen Innenhof geführten, ursprünglich eingeschossigen Flügelbauten auf der Rückseite. Die Stirnseiten dieser Nebengebäude, die Wirtschaftsräume, Remise und vor allem die Praxisräume des Arztes aufnehmen, ragen über die Flucht des Wohnhauses hinaus, so dass in der rechten Stirnseite ein separater Eingang für die Praxis angeordnet werden kann.

Der Eingang des Wohnhauses befindet sich auf dessen rechter Seite. Von den fünf Fensterachsen der Vorderfront ist die mittlere als flacher Risalit leicht vorgezogen und endet mit einer gestelzten Dreieckgiebel-Verdachung. Wie diese sind auch die Verdachungen der anderen Obergeschossfenster in Backstein gehalten. Die Wandfläche ist außerdem durch Geschoss- und Sohlbankgesimse gegliedert. In jeder der regelmäßigen Fensterachsen leitet eine zusätzliche kleine Mezzaninöffnung zum weiß abgesetzten überkragenden Kranz des Daches über. Die erhaltenen historischen Fenster besitzen die zeittypische T-Teilung.

Auf der Eingangsseite wird die regelmäßige Achsengliederung grundsätzlich fortgeführt, die linke der drei Achsen ist hier allerdings mit Blendfenstern ausgestaltet. Der Eingang mit der originalen zweiflügeligen Haustür mit Oberlicht sitzt über wenigen Stufen mit Wangenmauern erhöht in der Mittelachse. Auf der linken Seite des Hauses wurde 1922 eine offene Veranda angebaut. Die Rückseite des Wohnhauses ist verputzt. Im Erdgeschoss sind hier dreiteilige Fenster angeordnet und die Mittelachse ist durch nach oben versetzte Fenster, das untere bleiverglast, das obere mit Rundbogen und Keilstein, als Treppenhausachse kenntlich.

Das Innere des Wohnhauses ist in wesentlichen Elementen ungewöhnlich ursprünglich erhalten. Der Grundriss ist unverändert. Von der Haustür aus reicht der Eingangsflur zunächst bis zur Mitte, wo rechts anschließend das Treppenhaus nach oben bzw. der Hinterausgang nach draußen führt. Die gesamte Bodenfläche ist hier mit Ornamentfliesen der Bauzeit ausgelegt. Die Treppe ist gerade zweiläufig mit Wendepodest konzipiert, mit schlichtem Anfänger und gedrechselten Geländerstäben. Kehl- und Spiegelprofile gestalten die Decken von Flur- und Treppenhaus; der Übergang zwischen beiden ist durch Wandpilaster und ein vielfach profiliertes "Gebälkstück" akzentuiert.

Rahmen-Füllungstüren mit zugehörigen Gewänden sind im ganzen Haus erhalten. Sowohl im Erd- als auch im Obergeschoss schmücken Stuckdecken mit Kehlprofil und Mittelrosette die Wohnräume. Das Erdgeschoss zeigt die klassische Aufteilung eines großen Salons und eines anschließenden, durch breiten Durchgang angebundenen Wohnzimmers nach vorne und einer nach hinten gelegenen Küche. Weitere Details wie Griffe und Beschläge der alten Fenster oder erhaltene innere Klappläden tragen zum stimmigen historischen Raumbild bei.

Die ebenfalls backsteinsichtigen Hintergebäude gruppieren sich im Anschluss an das Wohnhaus dreiflügelig um einen Hof. 1935 werden der linke und der hintere Flügel um ein zweites Geschoss aufgestockt. Ursprünglich sind hier Wirtschaftsräume und Remise mit Pferdestall für die Kutsche des Landarztes untergebracht. Die Erhöhung dient zur Anlage einer Wohnung für Bedienstete im Obergeschoss. Bemerkenswert sind die im Grundriss ursprünglich erhaltenen Praxisräume im rechten, eingeschossigen Flügel. Zwei benachbarte Zugänge führen in der vorderen Stirnwand zum einen direkt vom Haus aus, zum anderen von draußen zunächst in ein Wartezimmer, an dass sich das Sprechzimmer anschließt. Ein hölzerner Portalvorbau mit schlanken, nach vorne gepaarten Pfeilern sowie durchbrochener Brüstung und Gebälk schmückt den äußeren Zugang, dessen Eingangstür ebenfalls erhalten ist. Anschließend an die Praxisräume werden in jüngerer Zeit moderne Garagentore eingebracht, die den positiven Gesamteindruck jedoch nur geringfügig stören. Ehemals gibt es hier eine Durchfahrt in den Hof, die heute noch durch einen Spitzgiebel mit getrepptem Backsteinfries kenntlich ist. Über der alten Einfahrt sind alte Inschriftsteine der Bauherren in die Wand eingelassen, der obere älteste zitiert: "Dr. Joh. Heinr. / Fliescher / Margarethe / Schürkes / 1884." Auch neben dem Wohnhauseingang ist ein altes Namensschild als Reminiszenz an die ehemaligen Bewohner erhalten.

Eine Einfriedung aus Lanzettengitter auf Sockelmauer zwischen Pfeilern schließt das weitläufige Grundstück nach vorne zur Straße ab. Alter Baumbestand, darunter eine in Ansätzen noch erkennbare Allee von der Einfahrt zur Durchfahrt in den Hof, trägt wesentlich zum Gesamterscheinungsbild der Anlage bei.

Der Bauherr des Anwesens, Dr. Johann Heinrich Fliescher (12.06.1850-26.07.1904), stammt vom Fliescherhof in Helenabrunn. Als Arzt lässt er sich 1880 in Helenabrunn nieder, heiratet 1881 Margarethe Schürkes, die Tochter des Besitzers des benachbarten Hofes, und ist Armenarzt für die Sektion Heimer und Hamm. Armenärzte erhalten eine staatliche Jahrespauschale, für die sie in einem ihnen zugeteilten Bezirk erkrankte Arme unentgeltlich behandeln müssen. Von vermögenden Bürgern können Ärzte darüber hinaus eine Bezahlung erhalten. Generell werden im 19. Jahrhundert im Bereich der Gesundheitsversorgung "moderne", institutionalisierte Strukturen ausgebildet, auch hinsichtlich Ausbildungs- und Standesangelegenheiten. Dr. Fliescher zählt damit zu den frühen niedergelassenen Ärzten in Viersen. Als Landarzt für die Siedlungslagen um Helenabrunn und Heimer wird ihm dabei eine besondere Bedeutung für das dortige Gemeinwesen zugefallen sein, auf die auch die allgemeine Bekanntheit seines Namens bis heute schließen lässt.

Nach seinem frühen Tod 1904 übernimmt nach kurzer Übergangszeit sein Sohn Dr. Alphons Fliescher (23.09.1883-26.10.1937) die Praxis. Nachdem auch er erst 54jährig stirbt, folgt ihm sein Schwiegersohn Dr. Josef Empt nach. Die Tradition dieser Ärztefamilie ist in Viersen bis heute existent.

Es handelt sich um ein stattliches, gediegen gestaltetes Wohnhaus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Außen und innen ist es in ungewöhnlich hohem Maße bis in Details ursprünglich erhalten. Sein durch regelmäßige Achsenreihung und die Wandgliederung durch Lisenen, Fensterverdachungen und flachen Risalit gestaltetes Äußeres repräsentiert eine spätklassizistisch und ländlich geprägte Bauweise, die zusammen mit den rückwärtigen Flügeln stark an repräsentative, "städtische" Formen übernehmende Bauernhöfe dieser Zeit erinnert. Typologisch von Interesse ist die Art und Weise, wie die Nutzung als Arzthaus in der Anordnung der Praxisräume ihre Umsetzung fand. Da sich das Niederlassungswesen einer ausgebildeten Ärzteschaft erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts nennenswert entwickelt, gibt es zur Bauzeit in den 1880er Jahren noch keine spezifische Form für diese junge Bauaufgabe. Die notwendigen Warte- und Behandlungszimmer werden zunächst meist in der Art anderer Nebennutzungen an das Wohnhaus angefügt (vgl. Kontorräume) oder in den Baukörper integriert, wobei auf eine strickte Scheidung zwischen privatem und öffentlichem Bereich geachtet werden muss. Gemäß seiner ländlichen Lage und Funktion geschieht dies hier in Anlehnung an eine Hofanlage, wobei öffentlicher und interner Zugang einfach aber geschickt getrennt sind. Erst später entwickeln sich kompliziertere Grundrisslösungen bei Arzthäusern, wie sie z.B. das Haus Viersener Straße 13 in Dülken zeigt.

Das Wohn- und Arzthaus Ummerkirchweg 93 ist als Sitz der für die Siedlungslage zuständigen Landärzte, der Arztfamilien Dr. Fliescher und Dr. Empt bedeutend für Viersen. Wegen der sehr guten Erhaltung seiner ursprünglichen Konzeption, Gestaltung und Ausstattung besteht an seiner Erhaltung und Nutzung aus den dargelegten wissenschaftlichen, insbesondere architektur- und ortsgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher in seiner Gesamtheit einschließlich der rückwärtigen Praxis- und Wirtschaftsflügel, der stilistisch angepassten Veranda und der straßenseitigen Einfriedung um ein Baudenkmal.