Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 481

 

Standort:

Tilburger Straße 48, D 41751 Viersen - Dülken

GPS:

5115' 25,7" N   06o 20' 07,6" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

Mitte der 1880er Jahre

Tag der Eintragung als Denkmal

17. Juli 2008

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Villa Burtscheidt in Dülken

Denkmalbeschreibung:

Lage und Entstehung
Das genaue Baudatum der Villa Tilburger Straße 48 in Dülken ist unbekannt. Aus den bislang bekannten Archivunterlagen lässt sich die Bauzeit jedoch auf Mitte der 1880er Jahre eingrenzen. Bauherr war der Fabrikant Gerhard Burtscheidt, Besitzer einer benachbarten Maschinenfabrik und Eisengießerei. In den 1930er Jahren wurde das Wohnhaus zum Bank- und Verwaltungsgebäude umgenutzt.
Die heutige Tilburger Straße bezeichnet die alte Landstraße zwischen Dülken und Süchteln und hieß daher lange Zeit Süchtelner Straße. Zur Bauzeit begann sich hier, nördlich vor den Toren des alten Ortskerns, ein Industriegebiet zu entwickeln, es gab aber noch wenig Bebauung, so dass sich die Villa in relativ freier Lage befand. Bereits vorhanden war aber seit den 1860er Jahren die Eisenbahnstrecke, die Villa und Fabrik von Gerhard Burtscheidt trennte.

Beschreibung
Es handelt sich um einen zweieinhalbgeschossigen Putzbau mit Walmdach, leicht abgerückt von der vorbeiführenden Straße. Der Baukörper gliedert sich in zwei Teile, jeweils auf rechteckiger Grundfläche: einen fünfachsigen mit Mitteleingang und links anschließend, aber um eine Achse zurückgesetzt, ein dreiachsiger Teil, der ehemals nach vorne durch eine Veranda geöffnet war.
Das Gebäude ist allseitig durch Rahmungen der rechteckigen Fenster und Eingänge, Gesimse und Eckbetonungen aufwendig dekoriert. Über dem mit Kellerfenstern geöffneten Sockel verläuft ein Band aus diamantierten Quadern. Zusammen mit den Eckquaderungen und dem Kranzgesims der Traufe ergibt sich so eine Rahmung der einzelnen Wandflächen. Auf dem Fries der Diamantquader sitzen die einfach gerahmten Erdgeschossöffnungen auf. Der Mitteleingang des rechten Gebäudeteils ist vorgezogen, wird von Pilastern eingefasst und bildet gleichzeitig den Unterbau für einen Austritt im Obergeschoss. Die ehemals offene Veranda des linken, zurückliegenden Gebäudeteils wird von zwei schlanken Rundstützen mit ionischen Kapitellen geziert, zwischen die eine niedrige Balusterbrüstung gespannt ist. Erd- und Obergeschoss werden durch ein doppeltes Gesimsband getrennt. Im Obergeschoss sind die Fensteröffnungen in der typischen Weise einer Beletage reich gestaltet, mit kleinen Konsölchen unter dem Fensterbrett, breiter profilierter Putzrahmung und Dreieckgiebel-Verdachungen. Über diesem Hauptgeschoss ist ein weiteres Halbgeschoss (Mezzanin) mit liegenden, seitlich gerundeten und ebenfalls mit Putzrahmung versehenen Öffnungen angeordnet.
Die seitlichen und rückwärtigen Fassaden sind prinzipiell gleich dekoriert. Die linke Schmalseite besitzt ein Zwerchhaus mit Dreieckgiebel über den beiden mittleren der vier Fensterachsen. An die rechte Schmalseite wurde nachträglich ein eingeschossiger Anbau angesetzt.
Auf der Rückseite ist im Erdgeschoss ein Vorbau angeordnet, dessen in der Ansicht linker Teil original ist (erkennbar an der ehemaligen Eckquaderung). Der Raum zwischen zurückgesetztem Gebäudeflügel und Vorbau wurde dann nachträglich geschlossen, mitsamt Einbau von neuen Fensterformaten.
Auf dem First der relativ flachen Dachflächen sitzt über dem vorderen Gebäudeteil ein Belvedere-Austritt mit Ziergitter zwischen gemauerten Eckpfeilern.
Während die beiden Anbauten rechts und hinten, die neue Haustür am ehemaligen Haupteingang sowie die Schließung der Veranda im Äußeren die einzigen nennenswerten Veränderungen sind, hat das Innere durch die Umnutzung seit den 1930er Jahren stark gelitten. Raumzuschnitt, Erschließung und Ausstattung sind weitgehend verändert, die überlieferten Reste erlauben ansatzweise aber noch Rückschluss auf die ursprüngliche Disposition. Erhalten ist eine stattliche zweiflüglige Haustür, durch die man von der ehemaligen Veranda aus seitlich den rechten Gebäudeteil betritt. Von hier aus erreicht man das alte Haupttreppenhaus (Geländer und Brüstung erneuert), in dem als hervorragendstes Ausstattungsstück ein 1916 datiertes Glasgemälde mit Darstellung einer Eisengießerei erhalten ist. Inwieweit unter den abgehangenen Decken des Erdgeschosses noch originale Deckengestaltungen verborgen sind, bedarf ggf. näherer Prüfung, ist aber wahrscheinlich. Fragmente von zeittypischen Bodenbelägen (Ornamentfliesen, Naturstein) sind noch zu sehen. In diesem Zusammenhang bemerkenswert sind die großen Schmuckfliesen-Flächen im Keller, bei denen unklar ist, ob sie original hier angebracht waren (was z.B. im Zusammenhang mit einer evtl. Küchennutzung des Kellergeschoss denkbar erscheint) oder nachträglich hier verlegt wurden.
Der Dachstuhl mit dem aufwendigen Belvedere-Unterbau ist weitgehend original.

Geschichte
Gerhard Burtscheidt war nacheinander Gründer und Inhaber mehrerer Maschinenfabriken und Eisengießereien. Er stammte - wie Felix Tonnar - aus Eupen und war, bevor er sich selbständig machte, auch in der Tonnarschen Fabrik angestellt gewesen. Wann er seine erste Firma gründete, ist in der Literatur bislang offen geblieben: Doergens nennt Anfang der 1880er Jahre, Brendgens 1876. Bauhistorische Recherchen des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege haben jedoch in der Bauakte des Hauses Lange Straße 27 ein Baugesuch zu Tage gebracht, mit dem Gerh. Burtscheid (sic!) zusammen mit Servay Lentz und Joh. Leon. Voss bereits 1871 die Einrichtung einer Maschinenwerkstätte in einem leeren Hintergebäude, benachbart der Zwirnerei Königs & Bücklers, beantragten. Da das Geschäft als wichtiger Zulieferer für die Textilindustrie offenbar florierte, bauten Burtscheidt und Lentz Anfang der 1880er Jahre an der Süchtelner Straße eine neue Maschinenfabrik und Eisengießerei "Burtscheidt & Lentz" - aus dem Jahr 1884 ist ein Einfriedungsplan für die Anlage erhalten. Etwa zeitgleich mit der neuen Fabrik dürfte auch die Villa von Burtscheidt entstanden sein: für sie existiert ein Einfriedungsplan von 1886, außerdem ist sie auf Situationsplänen für die 1885-89 erbauten Häuser Tilburger Straße 36-44 verzeichnet. Schließlich ist sie auch auf dem Stadtbauplan von 1894 verzeichnet, ebenso wie die Fabrik am Anfang des neu entwickelten Industriegebietes an der Heiligenstraße.
Bereits 1884 trennten sich Burtscheidt und Lentz; bis 1890 führte Burtscheidt die Fabrik alleine weiter, dann traten Gerhard Ulrici und Dr. Eduard Jansen als neue Gesellschafter ein, die Firma firmierte nun als Burtscheidt, Ulrici & Co. In den 1890er Jahren beschäftigte das Unternehmen bis zu 190 Mitarbeiter und wurde 1897 in eine Aktiengesellschaft, die Rheinische Webstuhlfabrik AG umgewandelt. Nach weiteren Betriebs- und Namenswechseln führte seit 1915 (Perdelwitz) die Maschinenfabrik und Eisengießerei Anton Röper die Tradition des Standortes bis heute fort.
Burtscheidt selbst hatte darüber hinaus schon 1893 eine zweite Maschinenfabrik am Kampweg gegründet, die aber bereits 1902 in die Seidenweberei Tovenrath (später nacheinander Rossié, Beckerath, Kredt) umgewandelt wurde.
Über Burtscheidts weiteren Lebens- und Berufsweg ist derzeit nichts bekannt. Sein Wohnhaus ist 1916 im Besitz des Fabrikanten Johann Carl Hartmann. Dieser hatte 1912 ebenfalls an der Heiligenstraße die Eisenhütte Hartmann & Friederichs gegründet (1914: Eisen- und Stahlwerk Hartmann), nachdem er zuvor Direktor der Eisengießerei Carlshütte in Staffel bei Limburg a.d. Lahn gewesen war. 1918 heißt das Werk nach seinem neuen Besitzer Siegfried G. Werner Stahlwerk Werner (Niederrheinische Eisenhütte und Maschinenfabrik); in die 1932 stillgelegten Betriebsgebäude zogen um 1940 die Otto Fuchs Metallwerke Meinerzhagen ein. Die Entstehung des Glasgemäldes im Treppenhaus fällt damit in die Zeit Hartmanns.
Das auch als "Villa Hartmann" bekannte Haus wurde 1935 an die Westdeutsche Bodenkreditanstalt in Köln / Kreis-Bezugs- und Absatzgenossenschaft Kempen-West, Dülken verkauft und durch den Architekten Rangette 1934-39 für die neue Nutzung als landwirtschaftliche Bank bzw. Bürogebäude umgebaut.
Burtscheid war mit seinen beiden Fabriken neben der Appretur von Jordan Terstappen (1891) der erste, der sich jenseits der Bahnstrecke im neuen Industriegebiet Heiligenstraße/Feldstraße (später Kampweg) ansiedelte. Auch seine Villa befindet sich auf dem Stadtbauplan von 1894 noch in relativ freier Lage, da das Stadterweiterungsgebiet zwischen Ortskern und Bahnlinie erst langsam im Wachsen begriffen war - die benachbarten Wohnhäuser 36-44 entstanden 1885-89, die schräg gegenüber liegenden Firmen Weyermann & Söhne und Ferdinand Fuesers entstanden erst 1897, lediglich die Seidenfabrik E. Thum & Söhne (Ecke Süchtelner Str. / Friedrichstr.) war schon 1881, also etwa zeitgleich mit Burtscheidts Unternehmungen entstanden. Dieses Gebiet zwischen Süchtelner Straße, Viersener Straße, Sternstraße und Bahnlinie zeichnet sich bis heute durch eine gemischte Bebauung aus einfachen Reihen-Wohnhäusern, gehobenen Wohnbauten sowie Handwerks- und Industriebetrieben der Gründerzeit bis 1920er Jahre aus.

Denkmalwert
Gerhard Burtscheidt zählte zu einer jüngeren Generation von Unternehmern in Dülken, die den älteren Mevissen, Tonnar, Bücklers oder Thum in den Gründerjahren Ende des 19. Jahrhunderts nachfolgte. Die Expansion seiner Fabriken aus bescheidenen Anfängen in einem Hinterhof an der Langen Straße lässt auf raschen Wohlstand schließen, den er mit seiner Villa auch selbstbewusst zum Ausdruck brachte. Lage, Dimension und Gestaltung heben sich deutlich von den überwiegend eher zurückhaltenden, noch klassizistisch geprägten Wohnhäusern der älteren Familien ab. Nicht nur die aufwendige neubarocke Gestaltung, auch die allseitig freie, klar von der Straße abgerückte Lage kennzeichnen eine neue Stufe der Unternehmerwohnung, während z.B. Felix Tonnar an der Marktstraße noch 20 Jahre zuvor ein typisches, in die Zeile eingebautes Stadthaus baute. In Größe und Gestalt muss die Villa Burtscheidt, auch dies zeigt der Vergleich, zu den herausragenden Vertretern des gehobenen, repräsentativen Wohnungsbaus der Industrialisierungsphase in Dülken gezählt werden. Sie besitzt dabei durchaus großstädtisches Format.
Durch die Umbauten seit den 1930er Jahren haben die Überlieferung der originalen Bausubstanz und damit die Anschaulichkeit der historischen gründerzeitlichen Unternehmervilla natürlich gelitten. Dies betrifft weniger das Äußere, wo allenfalls die Schließung der Veranda einen nennenswerten Eingriff darstellt, ansonsten aber die Gestalt samt Dekoration bis in Details wie z.B. den (anderswo selten erhaltenen) Belvedere auf dem Dachfirst erhalten ist. Die Anbauten oder die Verringerung der Fenstergröße innerhalb der erhaltenen Öffnungen fallen gegenüber der Gesamtwirkung kaum ins Gewicht und sind zudem reversibel.
Erheblicher sind die Eingriffe im Inneren, wo zwar einige markante Ausstattungsdetails erhalten bzw. unter jüngeren Schichten zu vermuten sind (Treppe, Decken, z.T. Böden; herausragend das Treppenhausfenster), ein schlüssiger historischer Gesamteindruck derzeit aber verbaut erscheint. Die in den letzten Jahrzehnten wenig repräsentative Nutzung und die bescheidene Umgebung haben dem Haus zwar zugesetzt, seinen historischen Charakter aber nicht zerstört.
Dieser architekturgeschichtliche Zeugniswert in Verbindung mit der ortsgeschichtlichen Dimension des Bauherrn und seiner Unternehmen begründen daher ein öffentliches Interesse an Erhaltung und Nutzung dieses wichtigen baulichen Zeugnisses der Gründerzeit in Dülken. Hinzu kommen stadtentwicklungsgeschichtliche Gründe, stellt das Haus doch einen frühen und prägenden Bestandteil des gründerzeitlichen Stadterweiterungsgebietes zwischen Viersener Straße und Heiligenstraße dar, in dem zeittypische Unternehmervillen, Arbeiterwohnhäuser, Werkstätten und Industriebetriebe sowie öffentliche Gebäude (Bahnhof, ev. Kirche, Post etc.) auf engem Raum nebeneinander bestehen.
Die Villa Burtscheidt, Tilburger Straße 48 in Viersen-Dülken ist aus den oben beschriebenen Gründen bedeutend für Dülken, Stadt Viersen. An ihrer Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen, hier architekturgeschichtlichen sowie aus stadtentwicklungsgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher um ein Baudenkmal gemäß §2 Denkmalschutzgesetz NRW.