Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 484

 

Standort:

Gladbacher Straße 779,  D 41748 Viersen

GPS:

5113' 12,9" N   06o 25' 01,4" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

1911 / 1912

Tag der Eintragung als Denkmal

18. Juli 2008

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Villa Maria in Viersen

Denkmalbeschreibung:

Lage und Entstehung
Das Haus Gladbacher Straße 779 befindet sich an der südlichen Stadtgrenze Viersens (neben der Landwehr) und schließt dabei praktisch unmittelbar an die zu Mönchengladbach gehörende Bebauung an bzw. wird häufig auch als dieser zugehörig betrachtet. Selbst in den zeitgenössischen Bauanträgen ist die Straßenbezeichnung teilweise unklar ("Viersener Landstraße zu Helenabrunn"). Bauherr und Architekt stammten aus Mönchengladbach und hatten dort auch ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Das Haus wurde 1911-12 für den Fabrikanten Ernst Essers errichtet, der Entwurf stammt von dem Architekten und Bauunternehmer Johannes Heuter.

Beschreibung
Es handelt sich um ein freistehendes, hinter einem Vorgarten mit Einfriedung von der Straße abgerücktes Wohnhaus (Villa), wobei die rechte Seite als fensterloser Brandgiebel ausgeführt und somit auf den späteren Ausbau zu einer "Doppelvilla" hin konzipiert wurde. Der im Prinzip rechteckige Baukörper erhebt sich zweigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss auf annähernd quadratischer Grundfläche (ca. 12,00 x 10,30 m). Der Außenbau ist über einem Sockel mit Putzquaderung glatt verputzt und zeigt nach vorne und zur linken Seite hin eine in zeittypischer Weise "malerisch" gegliederte Dach- und Baukörpergestaltung.
So sind im Erdgeschoss nach vorne ein kleiner dreiseitiger Erker und seitlich ein Eingangsvorbau angefügt, beide mit leicht abgeschleppten Dachflächen. Im Obergeschoss kragt auf der linken Hausecke eine Loggia leicht hervor, die mit Säulen geöffnet ist und ebenfalls ein abgeschlepptes Walmdach trägt. Das ausgebaute Dach prägen nach vorne ein firsthoher, zur Seite ein niedrigerer Zwerchhausgiebel, wobei die Fläche in der Giebelspitze jeweils verschiefert ist; auch die Wandfläche im Dachgeschoss zwischen den beiden Giebeln ist verschiefert, was optisch den Eindruck eines Mansarddaches hervorruft. Das eigentliche Walmdach besitzt auf seinen Ansichtsseiten eine Biberschwanzdeckung.
Innerhalb der aufgehenden verputzten Wandfläche sind die hochrechteckigen Fenster an verschiedenen Stellen zu Gruppen zusammengefasst, die teilweise auch durch gemeinsame, teils gerundete Gewände verbunden sind. Regelmäßige vertikale Fensterachsen sind vermieden. Im Obergeschoss und teilweise im Dachgeschoss sind grüne Fensterländen vorhanden. Die Wandflächen werden ferner durch eine Kassettierung der Loggiabrüstung sowie durch eine kleine Inschrift "Villa Maria" zwischen Ober- und Dachgeschoss gegliedert. Der Name leitet sich vom Vornamen der Ehefrau Ernst Essers ab.
Die Rückseite des Hauses ist insgesamt schlichter ausgeführt, mit einem einfachen Zementputz versehen und mit einer traufständigen Satteldachfläche, auf der zwei Schleppgauben für die Belichtung des Dachgeschosses sorgen.

Neben dem einschließlich der Fenster gut erhaltenen Äußeren besticht das Haus Gladbacher Straße 779 vor allem durch das weitgehend unveränderte Innere, mit noch dazu einigen bemerkenswerten Ausstattungselementen wie den zahlreichen originalen Buntglasfenstern der Bauzeit. Hinter dem Eingang mit alter Haustür liegt das Treppenhaus, von dem aus durch einen mittig gelegenen, firstparallelen Stichflur die Zimmer in den einzelnen Geschossen erschlossen werden. Im Erdgeschoss waren laut Bauplan Salon, Esszimmer und "Veranda" (ein weiterer Wohnraum) vorgesehen, dabei die vorderen Zimmer durch breite Durchgänge miteinander verbunden; im Obergeschoss verzeichnet der Plan Schlafzimmer, Bad und Comptoir, im Dachgeschoss weitere Schlafzimmer, Fremden- und Mädchenzimmer.
Die Treppe führt dreiläufig nach oben, das Metallgeländer ist ornamental gestaltet. Bodenfliesen bzw. -dielen sind erhalten. Den Treppenaufgang begleiten Farbfenster mit pflanzlich-ornamentalen Motiven, in die Details wie Messuhren oder Zirkel und Dreieckslineal eingefügt sind, die auf den technischen Beruf des Bauherren hindeuten. Auf dem Obergeschoss-Absatz befindet sich ein motivgeschichtlich ganz besonderes, dreiteiliges Buntfenster, in dem zentral Inschriften angebracht sind, die neben dem Hausherren auch die Bauzeit am Beginn des Ersten Weltkrieges widerspiegeln: "Wir Deutschen niemals untergehn /so lange wir Granaten drehn / und Schmiede Waffen hämmern", darunter links und rechts die Jahreszahlen 1914 bzw. 1915 und in der Mitte zusätzlich eine Granate mit dem Berufssignet Zirkel und Dreieck.
Türen (Rahmenfüllungstyp, häufig durchfenstert), zugehörige Gewände sowie Bodenbeläge sind an vielen Stellen im Haus erhalten (z.B. Fliesen in Erdgeschoss-Flur, Küche bzw. Bad), ebenso aufwändige Leuchter (Treppenhaus) und Deckenstuckierungen in den Haupträumen (ehemals Wohn-/Esszimmer des Erdgeschosses, Wohn-/Schlafzimmer des Obergeschosses). Diese sind der Bauzeit gemäß stärker abstrahiert-geometrisch aufgefasst als zuvor im Historismus üblich und nach Raumtyp differenziert: z.B. Rokokomotive im ehemaligen Salon, an Renaissance-Kassettendecken angelehnt im ehemaligen Esszimmer, Wabenmuster im ursprünglich als "Veranda" bezeichneten Zimmer. Auch im ehemaligen Esszimmer und im "Veranda"-Zimmer sind in den dreiseitigen Erkerausbauten Buntglasfenster angebracht, die z.T. wieder Inschriften enthalten ("Arbeit ist des Bürgers Zierde" / Hier leb ich, hier lieb ich, hier ruhe ich aus" / "Hier ist meine Heimat, hier bin ich zu Haus").
Weitere bemerkenswerte Ausstattungsdetails der Bauzeit sind die kaminartig gestaltete Heizstelle und der Leuchter im Erdgeschoss des Treppenhauses.

Die zeitgenössische Einfriedung mit Portal ist zwar leider ohne Gitter überliefert, zählt aber funktional und stilistisch selbstverständlich zum historischen Bestand.

Bauherr
Ernst Essers wurde am 16.08.1870 in Krefeld geboren und ist am 01.03.1947 in Mönchengladbach gestorben. Nach den Recherchen des Stadtarchivs Mönchengladbach ist er 1893 aus Cottbus nach Mönchengladbach zugezogen, in das Haus seines Vaters Otto Essers (Regentenstraße 93), der zusammen mit seinem Bruder Ernst eine Mechanische Weberei "Gebr. Essers" an der Eickener Straße 196/198 betrieb.
Ernst Essers wird 1902 und 1906 als Inhaber der Firma "Gladbacher Eisengießerei Ernst Essers" verzeichnet, Lürriper Str. 390a (im Adressbuch 1907 erscheint unter dieser Adresse auch Otto Essers, als (Mit-)Besitzer?). Hauptprodukte der Gießerei waren laut einem Briefkopf aus dem Jahr 1911 Bauguss, Stahlformguss, Eisenkonstruktionen, Zirkulieröfen, Zirkulier-Koksöfen und Diaphragmapumpen "System Essers". Die Adressangaben bezüglich seines Firmensitzes und seiner Wohnung sind über die Jahre etwas verwirrend, da offenbar auch auf den geschäftlichen Briefköpfen in der Regel seine private Adresse und Telegrafen-Nummer angegeben sind. Vor dem Umzug nach Viersen scheint seine Privatadresse wohl Poeth 25 gewesen zu sein (so jedenfalls die Adressbücher 1908 und 1912). Auffällig ist auch, dass Ernst Essers spätestens mit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr als Inhaber einer konkreten Fabrik in den Adressbüchern erscheint, sondern z.B. im Viersener Adressbuch 1927 als - im Handelsregister eingetragener - "Ingenieur" (1908: "Zivil-Ingenieur").
Essers scheint schon im Ersten Weltkrieg nicht mehr Besitzer der Eisengießerei an der Lürriper Straße in Mönchengladbach gewesen zu sein. 1916/17 sind für die Lürriper Straße 390/390a im Adressbuch ein Andreas Schlipper und ein Hubert Philippen angegeben, bevor hier 1921/22 und 1925/26 die Firma Lomberg & Söhne, Metallwarenfabrik u. Eisenhandlung und dann erstmals 1927 "H. Weller, Eisenkonstruktionen" angesiedelt sind, letztere unter dem Namen "Stahlbau Weller" lange Jahre ein großes und bekanntes Unternehmen.

Welcher unternehmerischen Tätigkeit Ernst Essers nach dem Ersten Weltkrieg nachgegangen ist bzw. ob er weitgehend von Patenten und Kapital leben konnte, ist derzeit nicht genau bekannt. Als letzte Adresse vor seinem Tod erscheint nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich die Viersener Straße 450 in Mönchengladbach: Nach dem Tod seiner Frau Maria wurde er dort von den Ordensschwestern des gegenüber der Villa liegenden Franziskushauses versorgt, im Gegenzug diente die „Villa Maria" dem Orden als Wohnhaus. Im Franziskushaus ist Essers dann 1947 auch verstorben.

Architekt
Zu Leben und Werk des Mönchengladbacher Bauunternehmers und Architekten Johannes Heuter (gest. 1963) ist wenig bekannt, was in erster Linie daran liegen mag, dass in Mönchengladbach die historischen Baukaten im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Der bislang früheste Bau, der der Denkmalpflege bekannt ist, ist das Wohnhaus Am Alten Rathaus 4 in Viersen-Dülken, errichtet 1904 für den Schuhfabrikanten Gerhard Gatzenmeier. In Viersen erbaute er 1905 das Wohnhaus mit Weinbrennerei von Josef Fausten, Rektoratstraße 39. Nachdem Heuter im Adressbuch 1906 unter der Adresse Regentenstraße 112 verzeichnet ist, findet man ihn dort 1921/22 unter der Adresse Luisenstraße 167 - sehr wahrscheinlich ist die 1908/09 errichtete, denkmalgeschützte Bautengruppe Luisenstraße 167-173 daher ebenfalls von ihm, ebenso das Haus Hohenzollernstraße 185, für das im Adressbuch als Bewohner allerdings Heinrich Heuter angegeben ist. Johannes Heuters Adresse in den 1920er und 1930er Jahren lautete Franziskanerstraße 10, 1950 bis zu seinem Tode dann Rubensstraße 9.

Die Heuter gesichert zuschreibbaren Bauten vor dem Ersten Weltkrieg weisen ihn als einen Architekten aus, der "auf der Höhe der Zeit" den Reformstil jener Jahre sicher anwendete, der sich mit Mitteln des Jugendstils und Neuer Sachlichkeit evolutionär vom Historismus löste. Während es sich bei den Häusern in Luisen- und Hohenzollernstraße um einfache eingebaute Reihenhäuser handelt, sind das Dülkener Wohnhaus und die „Villa Maria" typische Unternehmerwohnhäuser, wobei letztere durch ihren Ausstattungs- und Detailreichtum sicher eine Sonderstellung einnimmt.

Denkmalwert
Die „Villa Maria" des Unternehmers Ernst Essers, Gladbacher Staße 779, ist aufgrund ihres außergewöhnlich weitgehenden Originalzustands, der Qualität ihrer Gestaltung und ihres Ausstattungsreichtums als eines der herausragenden architektonischen Zeugnisse Viersens aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg anzusehen. Auffallend sind stilistische Anleihen beim zeitgenössischen "neubergischen Bauen", das sich in der Verschieferung, der Gestaltung der Fenstergewände (weiß aufgeputzt mit runden Fensteröffnungen) und den grünen Fensterläden, insgesamt also auch dem farblichen Dreiklang weiß-grün-schwarz ausdrückt. Die mündliche Überlieferung, diese für den Niederrhein eher untypische Gestaltung sei wegen eigener biografischer Wurzeln im Bergischen Land auf Wunsch Ernst Essers erfolgt, ließ sich bislang nicht erhärten. Ähnliche stilistische Bezüge sind auf Viersener Stadtgebiet auch am Wohnhaus Heinz-Luhnen-Straße 15 in Dülken verwendet.

Von der Ausstattung besonders hervorzuheben sind die Buntglasfenster, nicht nur wegen ihrer Zahl, sondern auch wegen ihrer spezifischen Ikonografie, die auch überörtlich von Interesse ist. Schließlich manifestiert sich hier auch ein wichtiges Stück Wirtschafts- und Sozialgeschichte Mönchengladbachs, wenn auch wohl eher zufällig auf Viersener Stadtgebiet.
Als außergewöhnlich gut erhaltenes und reich ausgestattetes Unternehmerwohnhaus aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist die Villa Gladbacher Straße 779 einschließlich ihrer Einfriedigung bedeutend für Viersen und Mönchengladbach. Ihre Erhaltung und Nutzung liegt aus den dargelegten wissenschaftlichen, architektur- und ortsgeschichtlichen Gründen im öffentlichen Interesse. Es handelt sich daher gemäß § 2 Denkmalschutzgesetz NRW um ein Baudenkmal.