Denkmale in der Stadt Willich

Lfd.-Nr. 114

 

Standorte:

Albert - Oetker - Straße 98 - 102,  D 47877  Willich - Schiefbahn

GPS:

5114' 41,6" N   06o 31' 15,9" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

1961 / 62

Tag der Eintragung als Denkmal

3. September 2008

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Ehem. Klosterkirche St. Bernhard in Schiefbahn

Denkmalbeschreibung:

Zur Geschichte des St. Bernhard - Gymnasium

Die Missionsschule St. Bernhard in Schiefbahn wurde am 15.10.1946 gegründet. Initiatoren waren der ortsansässige Apotheker Hans Schmitz, ehemals selbst Oblatenschüler, und Pater Mehren, seinerzeit Kaplan in Lürrip. Die Schule bezog zunächst die Sommervilla des Seidenfabrikanten Albert-Oetker, die im Dritten Reich als NS-Gauschule genutzt worden war. Das Bernhards - Patrozinium wurde als Referenz gegenüber dem Schiefbahner Pfarrer Bernhard Nicolini gewählt, der sich ebenfalls sehr für die Ansiedlung eingesetzt hatte.

Mit wachsenden Schülerzahlen und der (vorläufigen) Ernennung zum Progymnasium erfolgte 1953 ein Schul- und Klosterneubau nach Plänen des Architekten Kampshoff (Borken). Während diese Gebäude gestalterisch konventionell blieben, galt die 1961/62 errichtete Kapelle schon zeitgenössisch als ein im näheren Umfeld selten spektakuläres Bauwerk.

Mit der endgültigen Erhebung zum Progymnasium 1960 verlor die Schule auch ihren Charakter als Missionsschule (für den Ordensnachwuchs) und öffnete sich nach außen. Weitere Schulneubauten entstanden 1968 und in den 1970er Jahren. Seit Mitte der 1980er Jahre wurden Verhandlungen über den (1993 erfolgten) Weggang durch die Stadt Willich geführt. Die Schule verblieb aber in freier Trägerschaft des Ordens der Hünfelder Oblaten. Die ehem. Kapelle ist heute zu einem „Forum“ umgewidmet, d. h. sie besitzt keinen geweihten Status mehr.

Beschreibung:

Es handelt sich bei dieser, nach einem beschränkten Wettbewerb (1960) im Jahre 1961-62 erstellten Kapelle mit allen ihren architektonischen Details um eine gut gelungene Darstellung sakraler Modernität, eingegliedert in das Umfeld aus hochgeschossigen Schulbauten, großzügiger Parkanlage und Gründerzeitvilla.

Bestimmendes Bauteil des Stahlbetonskelettbaus, dessen Prägnanz auch in seiner häufigen Verwendung als Logo zum Ausdruck kommt, ist die gefaltete Helmpyramide aus Beton, welche die Kapelle als Zeltdachtypus ausweist. Diese Helmpyramide, das Zelt Gottes unter den Menschen darstellend, wird von 12 symmetrisch angeordneten Pfeilern getragen, die 12 Apostel manifestierend. Um Hauptaltar als ideellen Mittelpunkt gruppieren sich 9 Nebenaltäre, in achsialer Ausrichtung und Beziehung auf den Hauptaltar, innerhalb eines umlaufenden, niedrigeren, mit Gittersteinen vom Zentralraum abgetrennten „Kapellenkranzes“.

Um den gläubigen auf den `Gottesdienst oder die Opferfeier vorzubereiten, führen die Kirchtüren nicht unmittelbar in den Hauptkapellenraum. Erst nach Durchschreiten der Eingangshalle und dem nach oben offenen und allseitig von der Umwelt abgeschlossenen Atrium gelangt der Besucher über einen trapezförmig angelegten Windfang (mit Taufstein) in den durch seine Höhe mächtig wirkenden zentralen Raum, dessen Boden mit norwegischen Quarzitplatten belegt wurde. Außerdem waren in den Annex- bzw. Flügelgebäuden vor der Kapelle nach zwei Sakristeien und zwei weitere Kapellen, „Hauskapelle“ und Kapelle „Maria Schnee“ untergebracht. Diese Räume sind inzwischen z. T. umgenutzt (die Hauskapelle heute Bücherei, Kapelle Maria Schnee wird weiterhin für Gottesdienste genutzt), baulich aber im wesentlichen unverändert. Zum Ursprungsentwurf zugehörig ist außerdem ein Glockenturm, der am (ehem.) Übergang der Hauskapelle zu dem benachbarten Schul- bzw. Klostertrakt vor die Flucht des Eingangsbaus gestellt wurde.

Hervorzuheben sind die Beton- Farbglasfenster im Zentralbau, der Eingangshalle und den beiden (ehem.) Kapellenräumen, die seitlich und oberhalb Wandscheiben rahmen. Der künstlerische Entwurf für die Fenster stammt von Sr. E(h)rentrud Trost aus der Benediktinerinnenabtei Varensell (Westfalen)

Inmitten des Atriums befindet sich eine Skulptur des Ordensstifters (OMI), Eugen von Mazenod, Bischof von Marseille, geb. 01.08.1782, gest. 21.05.1861, durch Papst Paul VI. am 19.10.1975 selig gesprochen.

Weiterhin sind die künstlerischen und handwerklich gut gestalteten Türen im Zugang zum Hauptraum aus Massiv- Bronze einschließlich der hier und an den Türen im Eingangsvorbau vorhandenen, teils figürlichen Türgriffe sowie das Relief sowie außen über dem Haupteingang von prägnanter Ausdruckskraft.

Würdigung:

Funktionale bzw. liturgische Gedanken prägen die Gestalt der Bernhardskapelle und machen sie zu einem sehr anschaulichen Zeugnis des modernen Kirchenbaus nach 1945. Einige symbolische Gehalte wie das Zeltdach und die Zwölfzahl wurden bereits bei der Beschreibung erwähnt. Darüber hinaus wird die Kapelle bestimmt durch die Spannung zwischen dem Zentralbau-Charakter des zentralen Polygons und der gleichzeitigen Gerichtetheit der Wegeführung und der Altaranordnung innerhalb des Gebäudes.

Die Kapelle steht damit konzeptionell an einer höchst bedeutsamen Nahtstelle. Ausgehend vom Bemühen um eine stärkere Teilnahme der Gläubigen an der Messfeier entstanden insbesondere im katholischen Kirchenbau des Rheinlandes etwa seit Mitte der 1950er Jahre vermehrt Zentralbauten, die genau den in Schiefbahn verwirklichten Kompromiss zwischen Zentralität (Baukörper) und Gerichtetheit (keine Zentralisierung des Altars) beinhalteten.

Sofern es sich nicht allein um Teilgebäude wie z. B. die traditionell zentralisierten Taufkapelle handelt, können diese in der Tat als eine Vorwegnahme der im zweiten Vatikanum propagierten Ideen angesehen werden. In Schiefbahn wird durch die sehr genau entwickelte Wegeführung des Eintretenden u. a. durch Vorhalle, Atrium und Windfang diese Gerichtetheit betont. Die traditionell als „ Kapellenkranz“ zu bezeichnete Anordnung der neun Nebenaltäre im Drei-Viertel-Rund um den Altar trägt ferner zu der auf kleinem Raum elaborierten Wegeführung im Inneren bei, wobei die ungewöhnliche bauliche Lösung dieses Gedankens ausweislich der erhaltenden Planzeichnungen und der später Interpretationsprobleme nicht einfach war.

Wie der Zentralbau ist auch der Zeltdachgedanke ein Typisches innovatives Element des Kirchenbaues um 1960, die sich i Schiefbahn mit den neuen Gestaltungsmöglichkeiten des Baustoffs Beton zu einer äußerst markanten Dachform verbindet. Insbesondere ein kleineren ländlichen Kirchen oder bei Kapellen fand diese Dachform Verwendung. Dachfaltungen dieser Art wurden um 1960 gerne als eine neue „heimliche“ Gotik, in Absetzung von der bisweilen sehr nüchternen Formensprache vorangegangener Jahre, bezeichnet. Ein typologisch eindeutiger, ebenfalls zeittypischer Rückgriff auf traditionelle Formen ist schließlich auch die Einbindung eines Atriums in die Gesamtanlage, wodurch ein direkter Bezug zu frühchristlichen oder mittelalterlichen Anlagen hergestellt wird. Ferner kommt hier wie auch in den beiden Flügelkapellen die generelle Tendenz des modernen Kirchenbaus zur differenzierten Gliederung des Baukörpers zum Ausdruck.

Der Architekt Josef Bieling (1919-1980 od. 1981) hat sich in seinem Heimatort Kassel und in angrenzenden Gebieten insbesondere durch einige vielbeachtete Kirchenbauten und –restaurierungen einen Namen gemacht. So wurde die Bonifatiuskirche von 1957 als „markantestes Kasseler Bauwerk der Nachkriegszeit“ in den Brockhaus aufgenommen. Ferner fanden seine Gebäude Eingang in Architekturführer und Standartwerk zur Kirchenbaugeschichte des 20. Jahrhunderts, darunter: Kassel, Herz-Mariä-Kirche (1957); Maintal-Dörnig-Heim, Maria Königin (1957); Moringen, St. Ulrich (1959); Grebendorf b. Eschwege, kath. Zeltkirche (1960/61); Hannover, Zu den HL: Engeln 1963/64); Bad Wildungen-Rheinhardshausen, St. Liborius (1966); Kassel, St. Theresia (1970); Maunburg (Bez. Kassel), Familienerholungsheim (m. A. von Branca, 173). Außer in Kassel war Bieling auch umfangreich im Bistum Hildesheim tätig; an Kirchenbauten sind hier bekannt: Göttingen, St. Godehard, 1959; Göttingen-Giesmar, Marie Frieden, 1961; Göttingen-Weende, St. Vinzens, 1960; Hannover-Kirchrode, Heilige Engel, 1964; Moringen, St. Ulrich, 1959; Uslar-Volprichausen, St. Joseph, 1961; Wahlsburg-Lippoldsberg (Bodenfelde), St. Maria Goretti, 1957.

Denkmalwert:

Das St. Bernhards-Gymnasium, hervorgegangen aus der Missionsschule der Hünfelder Oblaten, ist nach mehr als fünfzigjährigem Bestehen ein fester Bestandteil der Ortsgeschichte von Schiefbahn geworden. Die Kapelle ist ein sinnfähiger und schon zur Bauzeit viel beachteter baulicher Ausdruck dieses Wirkens. Ihr gefaltetes Zeltdach ist buchstäblich zum Logo geworden. Somit ist die Kirche bedeutend für Willich.

Aus den dargelegten Wissenschaftlichen, hier orts- und kulturgeschichtlichen Gründen besteht an Erhaltung und Nutzung der im wesentlichen unveränderten Kapelle ein öffentliches Interesse. Hinzu kommen architektur- bzw. kirchenbaugeschichtliche Gründe, handelt es sich doch um ein anschauliches Zeugnis wichtiger Tendenzen im (katholischen) Kirchbau um 1960.

Es handelt sich daher gemäß § 2 Denkmalgesetz um ein Baudenkmal.

Quellen

Klosterkirche in Schiefbahn, Bez. Düsseldorf. In: Baumeister 1963, 836-838.

www.St.bernhard-gymnasium.de (29.07.2002)

Ludwig Hügen: 1889-1989: Hundert Jahre Deuss & Oetker, Verseidag in Schiefbahn. Willich 1989.

Barbara Kahle: Rheinische Kirchenbauten des 20. Jahrhunderts. (Landeskonservator Rheinland, Arbeitsheft 39), Köln 1985.

Hugo Schnell: Der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts in Deutschland. München 1973.

Berthold Hinz: Architekturführer Kassel. Berlin 2002.

www.bieling-architekten.de (29.07.2002)

http://www.uni-kassel.de/fb12/afks/Deutsch/obj_text/S_123.htm (29.07.2002).